Erweiterung der Geschmacksknospen

Eine gute Portion Nervosität brachte ich durchaus mit, als ich am ersten Tag durch das Schlosstor ging. Erster Eindruck: das Schloss ist deutlich größer als ich es mir vorgestellt habe. Erster Gedanke: nein, unmöglich ein einzelner, eine Vielzahl von Überlegungen, Sorgen, Erwartungen wie auch Vorfreuden belebten meine von der Fahrt noch müden Augen. Der frische Wind gemischt mit den wohltuenden Düften des Gartens den ich als erstes passierte standen somit am Anfang von 8 Wochen voll von Sinneseindrücken und Geschmäckern.

Da war von Anfang an die Süße (gleich der vielen Desserts, die ich in dieser Fülle sonst noch nie so genießen durfte) der Gastfreundschaft und Herzlichkeit von Elke und Tobi, die sich sofort bemühten, dass ich mich wie zu Hause fühlen sollte.

Da war die Schärfe (gleich des Piment d’Espelette, der selbstverständlich bei keinem Essen fehlen durfte) des Neukennenlernens, des Bedürfnisses, sich an die unterschiedlichsten Charaktere gewöhnen und auch anpassen zu müssen.

Da war die Säure (gleich der hauseigenen Zitronen, die den Eigang der grange schmücken) mancher Meinungsverschiedenheit oder dem stoischen Hinnehmens manchen Sonderwunsches, die unweigerlich bei einem solch innigen Zusammenleben vorkommen.

Da war die Bitterkeit (gleich der Gurken unterschiedlichster Form und Farbe aus dem Garten, die auch entsprechend vielfältig zubereitet wurden) unerfüllter Vorstellungen und des Scheiterns von Vorhaben, die mehr Zeit, Motivation und Inspiration bedurft hätten.

Da war das Umami (gleich der allgemein einfach großartigen Kulinarik), diese unbeschreibliche Intensivität und Vollmundigkeit, die manchem vielleicht teilweise zu kräftig ist, aber definitiv nur vor Ort erlebbar ist und für dessen Erfahrung es sich ohne Frage lohnt.

Da war schließlich die Salzigkeit (gleich dem Bayonner Schinken, der auch für die Geschichte des Hauses so elementar ist), die in Form der wunderschönen Umgebung mit ausgezeichneten Ausflugszielen und der Möglichkeit von Ruhefindung den Aufenthalt mit all seinen Geschmäckern abrundet.

Selbstverständlich sind alle diese Erfahrungen auch wortwörtlich Geschmackssache, ohne zwischen positiven oder negativen Erlebnissen unterscheiden zu wollen. Egal welche Vorlieben ein jeder Mensch, der an das Château kommt, mitbringt, die Zeit dort, wird die Geschmacksknospen in einer Art erweitern, die vermutlich erst sehr viel später, in manchen Teilen möglicherweise auch nie, ganz offenbar wird.

David Weiß, im August 2025

Tobias Premauer